Anspruch + Ziel

Soziale Netzwerkanalyse – Anspruch und Ziel

Die Soziale Netzwerkanalyse (SNA) ist eine vor allem in den USA etablierte Theorie und Methode zur Untersuchung sozialer Strukturen. Sie verwendet den Netzwerkbegriff nicht allein metaphorisch, sondern bietet eine konstruktivere Vorgehensweise. Unabhängig davon, ob es um die Analyse von sozialem Kapital, Gruppen- und Verwandtschafts- strukturen, Interorganisations-Netzwerken oder Märkten/Organisationen als Netzwerken geht, werden mit ihrer Hilfe soziale Strukturen empirisch-methodisch untersucht.

Hierbei geht es jedoch auch um die theoretische Konzeption dieser Strukturen. Die SNA fasst Netzwerke als handlungsbedingende Größen auf, das heißt Netzwerkstrukturen gelten als Bedingung für die Ausbildung von Handlungsorientierungen (Normen/Werte), für soziale Handlungen und den Handlungserfolgen (z.B. Ressourcenmobilisierung / Implementierung von Programmen). Soziale Netzwerkanalyse untersucht somit, wie Strukturen entstehen, sich verändern und welche Konsequenzen dies für das soziale Verhalten und Handeln besitzt. Hierbei verbindet sie die Mikro- und Makro-Perspektive, indem sowohl der Akteur im Netzwerk als auch die Struktur des Netzwerkes beschrieben werden.

Inzwischen steht hierfür ein ganzes Arsenal an Erhebungs- und Auswertungstechniken, statistischen Maßen, Software und Forschungsstrategien zur Verfügung. Neuere Entwicklungen der SNA beziehen darüber hinaus die Netzwerkdynamik, die Netzwerk(re)konstruktion und die Bedeutung kultureller Umwelten für die Netzwerkbildung mit ein.

Einführung und Fortbildung

Das Konzept hinter der Summerschool

Insgesamt hat sich die SNA in den letzten Jahren auch außerhalb der Sozialwissenschaften zu einer der dynamischsten Forschungsströmungen entwickelt. In den Geschichts- oder Medienwissenschaften wie auch in der Ethnologie und Anthropologie gibt es zunehmend Ansätze, die soziale Netzwerkanalysen zu operationalisieren.

Die Trierer Summer School will jungen Wissenschaftlern, die kurz vor ihrem Studiumsabschluß oder am Beginn ihrer Promotion stehen, eine Einführung in die Konzepte und Methoden der SNA bieten. Hierfür knüpft sie an die Entwicklungen in der Forschungslandschaft an und bündelt die Ansätze der verschiedenen Disziplinen. Ziel ist es, die Teilnehmer in die Lage zu versetzen, eigenständig ein netzwerkanalytisches Forschungsdesign zu entwickeln, Netzwerkdaten zu erheben und diese zu analysieren. Besonders durch die Möglichkeit, in einem Gespräch von den Dozenten individuell beraten zu werden, vermittelt die Veranstaltung somit eine solide Basis für einen erfolgreichen “Take off” in die Forschung.

Die aktuelle Summer School baut auf den Erfolgen der vergangenen Trierer Summer Schools zur Sozialen Netzwerkanalyse auf. Konzept und Programm werden stetig weiterentwickelt sowie adressatenspezifisch differenziert. Die Auswahl der Dozenten – Experten auf dem Gebiet der SNA – gewährt darüber hinaus die hohe Qualität des Fortbildungsangebots.

Forschen am Puls der Zeit

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael Schönhuth

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Prof. Dr. Michael Schönhuth ist Dozent und wissenschaftlicher Begleiter der Summer School. Mit uns sprach er über die Herausforderungen und Besonderheiten der Summer School als einwöchigem Lehr- und Lernformat.

Herr Schönhuth, in den Semesterferien wird normalerweise endlich liegengeblieben Arbeiten erledigt. Die Organisation und Durchführung einer Summer School ist aber doch sehr aufwändig. Wo liegt der Reiz und der Ansporn, den einwöchigen Workshop dennoch jedes Jahr für 40 Teilnehmer anzubieten?

Eine Summer School bietet die ideale Möglichkeit, über den Standort Trier hinaus mit jungen, deutschsprachigen Netzwerkforschern ins Fachgespräch einzusteigen und aktuelle Forschungsfelder kennenzulernen, die noch nicht publiziert sind und an denen noch gearbeitet wird. Natürlich geht es auch um die Vermittlung von Netzwerkkompetenzen“ und den Anspruch, innerhalb der School konkrete Lösungen für Forschungsfragen zu erarbeiten, vor allem im persönlichen Gespräch der Forschungsberatung.

Eine Summer School ist ja ein ganz anderes Format als beispielsweise der City Campus. Wie trägt Ihrer Meinung nach eine solches Lehrangebot zur Profilbildung der Universität bei?

Die Frage ist ja fast rhetorisch – wenn eine Summer School nicht dazu beitragen würde, den Bekanntheitsgrad einer Universität in der Bundesrepublik und darüber hinaus im deutschsprachigen Raum zu steigern, dann würde sich das Engagement der Dozenten und der Aufwand der Organisation gar nicht lohnen. Wir in Trier haben mit der Summer School für Soziale Netzwerkanalyse (SNA) ein attraktives Angebot geschaffen, das inzwischen alle aktiven, im Forschungsbereich tätigen Forscher aus ganz unterschiedlichen Standorten nach Trier zieht. Rückwirkend tragen die Teilnehmer auch zur Verbreitung der Inhalte bei, die ihnen hier geboten werden und die sozusagen die absolut notwendigen „Basics“ der SNA im methodologischen Bereich darstellen. Darüber hinaus nehmen sie den Gesamteindruck, den sie in Trier erhalten haben, an ihren eigenen Forschungsstandpunkt zurück. Dazu trägt natürlich auch der ‚Spirit’ des sozialen Zusammenseins, des gemeinsamen Lernens und des gesellschaftlichen Rahmenprogramms bei. Zudem bieten wir unseren Teilnehmern durch das Beratungsangebot konkrete Unterstützungsleistungen für ihre eigene Profilbildung als WissenschaftlerInnen. Zum Beispiel geht es um die Klärung der Frage, welcher Ansatz in der Netzwerkforschung welcher methodischen Instrumente bedarf.

Wo liegt der Vorteil eines City Campus, wo der Vorteil der Summer School?

Veranstaltungen wie der City Campus sind ein gutes Format, um die Schnittstelle von Akademie und lokaler, regionaler Öffentlichkeit zu bedienen. Hier sind solche Angebote sinnvoll und notwendig um die Wissenschaft sozusagen in die „Zivilgesellschaft“ hineinzutragen und bekannt zu machen. Eine Summer School hat dagegen eine andere Ausrichtung und trägt dazu bei, dass die lokale Netzwerkforschung, die wir hier in Trier betreiben, in den Dialog mit anderen Wissenschaftlern tritt und sozusagen mit dem Nachwuchs auf Tuchfühlung geht. Hier können auch gezielt Alleinstellungsmerkmale des Trierer Standortes bekannt gemacht werden. Die hier entwickelte Visualisierungssoftware VennMaker stellt etwa eine Einzigartigkeit im deutschsprachigen Raum dar. Die Summer School-Teilnehmer können sie im Rahmen der School kennenlernen und erproben und später den Fachkollegen bekanntmachen.

Bei sozialen Netzwerken denken die meisten an die private Nutzung von social network sites. Über deren Nutzen kann man ja trefflich streiten. Wie und warum beschäftigt sich die Wissenschaft mit sozialen Netzwerken?

Die soziale Netzwerkforschung setzt konkret an der Schnittstelle von persönlichen und institutionalisierten Beziehungen an. Sie bezieht ihren Mehrwert aus der Tatsache, dass eben nicht die strategischen Netzwerkkontakte – wie sie z.B. auf Facebook oder Xing eingegangen und gepflegt werden – untersucht werden, sondern vielmehr die unbeabsichtigten Folgen von Beziehungen. Sie erforscht die Ergebnisse von Beziehungshandeln in Hinblick auf sich eröffnende Möglichkeiten, aber auch Grenzen. So gehört zu den spannenden Erkenntnissen der Netzwerkforschung die Tatsache, dass Personen auch Kapital aus indirekten, schwachen Beziehungen ziehen können. Mark Granovetter hat dies etwa für die Jobsuche untersucht. Ein weiteres Beispiel ist der Vor- und Nachteil von starken Beziehungen und dichten Netzwerken: Sie können integrieren und Rückhalt bieten, in Konflikt- oder Umbruchsituationen jedoch auch kontraproduktiv wirken und alternative Handlungsstrategien unterbinden. Als sogenannte bonding ties sind diese Beziehungen in geschlossenen Netzwerken eher hinderlich.

Was ist denn der Nutzen der Sozialen Netzwerkanalyse?

Die SNA erbringt in diesem Kontext wissenschaftliche Erkenntnisse über die Parameter, nach denen Netzwerke funktionieren und sich sowohl verdeckte als auch offensichtliche Netzwerkstrukturen auf Individuen und Gruppen auswirken. Auf der praxisbezogenen Ebene kann dieses Wissen gezielt zur Beratung von Einzelnen – als Coaching – oder von Gruppen – in der Organisationsberatung – eingesetzt werden. Insofern werden die Ergebnisse auch wieder strategisch nützlich. In Trier haben wir den großen Vorteil, dass unsere Forscher in beiden Bereichen methodisch gut aufgestellt sind.

Zur Summer School kommen jährlich Studenten und Doktoranden mit ganz unterschiedlichem wissenschaftlichen Hintergrund aus ganz Deutschland bzw. den Nachbarländern. Was nehmen Sie persönlich aus diesen Begegnungen mit?

Natürlich gibt es eine persönliche und eine fachliche „Spaßkomponente“. Kaum ein Format ist geeigneter als eineSummer School, um sich als Wissenschaftler eine Woche lang intensiv mit aktuellen Forschungsfragen auseinanderzusetzen. Zudem bietet die School einen geschützten Raum, in dem gerade junge ForscherInnen über die ‚Probleme’, die sich zwangsläufig bei jeder Art von Forschung ergeben, zu sprechen und sich auszutauschen. Auf Tagungen und Konferenzen geht es meist darum, die eigenen Forschungsqualitäten herauszustellen. Kritische, auch selbstkritische Fragen stehen dabei eher im Hintergrund. Die Summer School bietet dagegen ganz andere Möglichkeiten des Gesprächs und der Offenheit.

Zudem spielt auch das Zwischenmenschliche eine Rolle: Das Spektrum der Teilnehmer ist größer, das sie sowohl aus ganz unterschiedlichen fachlichen Kontexten als auch mit ganz verschiedenen persönlichen Lebenserfahrungen nach Trier kommen. Gerade die persönlichen Begegnungen sind daher eine unglaublich bereichernde Erfahrung.